Lebensweise: In Mitteleuropa brüten die Graugänse an
ruhigen, einsamen Seen mit breitem Schilfgürtel und angrenzenden Wiesen
und Äckern. Die östlichen Populationen bewohnen flache Steppenseen,
Altwässer und vegetationsreiche Moore, gern solche mit mit kleinen
schwimmenden Inseln, auf denen sie dann brüten. Auf den schwedischen
Schären nisten sie teilweise in lockeren Kolonien auf kurzem Grasland
entlang der Küste. Die Ankunft in den Brutgebieten erfolgt Mitte
Februar, bei kalter Witterung erst Mitte März. Hier schließt sich eine
rege Balzzeit an. Die Nester stehen fast durchweg an schwer
zugänglichen Stellen auf Kaupen, im Schilf oder Röhricht, sind
umfangreiche Bauten aus vorjährigen Pflanzenteilen und werden
vorwiegend vom Weibchen errichtet. Der Legebeginn schwankt mit den
Witterungsverhältnissen zwischen Mitte März und Ende April, meist liegt
er um die März - April - Wende.
Das Vollgelege besteht aus 4 - 9, bisweilen aus 12 glanzlosen, weißen
Eiern. Die Bebrütung dauert 28 - 29 Tage. Die frisch geschlüpften
Gössel bleiben etwa 24 Stunden im Nest. Von beiden Elten betreut,
werden sie auf angrenzendes Weide - und Wiesenland geführt und erlangen
nach 50 - 60 Tagen um Mitte August ihre Flugfähigkeit. Die Altgänse
beginnen im Juli mit der Schwingenmauser. Zwischen Mitte September und
Mitte Oktober ziehen die Graugänse aus dem Müritzgebiet ab. Die
Geschlechtsreife der Junggänse tritt nach vollendetem 2. Lebensjahr
ein, die Sexualität äußert sich aber schon nach etwa 18 Monaten und
führt zunächst zur Verlobung. Die Tiere gehen in der Regel eine
Dauerehe ein, die auch außerhalb der Brutzeit aufrechterhalten wird.
Nahrung in der Natur:
Rein pflanzlich, sie besteht vorwiegend aus Blättern, Trieben und
Stengeln der Landpflanzen, die mit dem Schnabelnagel abgerissen oder
mit der seitlichen Hornleiste abgebissen werden. Im Spätsommer und
Herbst äsen die Graugänse vorzugsweise auf Getreidestoppelfeldern. Der
hier aufgenommene Körneranteil betrug nach Ermittlungen von SCHRÖDER
59% der Gesamtnahrung; weitere 13% stellten Wildgräser und Grünanteile
der Getreidepflanzen sowie 10% die der Schachtelhalme.
Haltung und Zucht:
Die Graugans stellt die Stammform fast aller unserer Hausgansrassen
dar, sie wurde besonders im mitteleuropäischen Raum domestiziert. Heute
leben beide Unterarten der Graugans - vornehmlich die westliche - in
allen Zoos und in vielen städtischen Anlagen und Parks. Von den
Züchtern werden sie nicht so oft gehalten. Obwohl auch diese Gänse auf
Teichen mit angrenzender großräumiger Rasenfläche am wirkungsvollsten
sind, begnügen sie sich ebenso mit kleineren Gehegen. Graugänse sind
winterhart und benötigen für die kalten Monate lediglich eine freie
Wasserstelle als Schutz gegen Raubtiere. Zuchterfolge mit der Graugans
stellen keine Besonderheit dar, sind aber bei weitem nicht mit allen
als "Paar" zusammengebrachten Tieren zu erzielen. Die geringe
Fortpflanzungsneigung bei einem Teil der Graugänse dürfte in der
fehlenden Paarungsbereitschaft begründet liegen. Die in Dauerehen
lebendenGänse verpaaren sich nach Verlust eines Partners oder bei
zwangsweise zusammengestellten Tieren oftmals garnicht oder erst nach
vielen Jahren, andererseits sind Umpaarungen selbst bei weiterer
Anwesenheit der ehemaligen Brutpartner nicht selten. Ist es zur
Paarbildung gekommen, dann bleiben Zuchterfolge auch unter weniger
guten Bedingungen selten aus. Der Züchter REISSAUS , dessen Erfahrungen
sich verallgemeinern lassen, berichtet:
"Zwischen 1954 und 1955 erwarb ich insgesamt 22 Graugänse. Aus dieser
Herde bildete sich bald ein Paar heraus, das dann ab 1957 alljährlich
zur Brut schritt, bis das Weibchen 1965 verunglückte. Obwohl die Gänse
außerhalb der Brutzeit viel Auslaufmöglichkeiten hatten, war das
Zuchtgehege nur 150 qm und der Teich 4 qm groß. Am Rande des Teiches
war aus aufgestelltem Reisig ein sichtgeschützter Nistplatz errichtet
worden. Als Nestunterlage dienten ebenfalls Reiser. Das Paar
vervollständigte den Nestbau. Gebaut wurde nur vom Weibchen, der Ganter
verlegte das Material lediglich. In den acht Jahren schwankte der
Legebeginn zwischen dem 28. März und dem 1.Mai. Das Weibchen legte 6
oder 7 Eier und brütete regelmäßig ab 5.Ei. Bei den Nestkontrollen
zischte die Gans heftig und stieß mit dem Schnabel, während der Ganter
flügelschlagend das Nest verteidigte. Die Brutdauer betrug immer 28
Tage. Die Kükenaufzucht erfolgte durch die Eltern und verlief
alljährlich verlustarm. Ende Juli waren die jungen Graugänse flugfähig.
Um ein Abwandern der Familie zu verhindern, beschnitt ich gegen Ende
der Schwingenmauser den Altvögeln die Flügel. Der Verband hielt bis zu
Brutbeginn des folgenden Jahres eng zusammen, dann biß das alte Paar
die Jungen weg". Im Freiflug gehaltene Paare wandern nur selten ab und
bringen wesentlich höhere Fortpflanzungsraten als kupierte Tiere.
HEINROTH bot den flugfähigen Graugänsen im Berliner Zoo Nistkörbe in
den Ästen großer Bäume. Diese ruhigen Plätze wurden von mehreren Paaren
zur Eiablage angenommen. Die Aufzucht junger Graugänse ist auch ohne
Eltern oder Ammen gut möglich. Im Gegensatz zu jungen Entenküken sind
die Gössel von vornherein vertraut und ruhig, sie schließen sich schon
nach kurzer Zeit eng der Amme oder dem Pfleger an. Über die Befiederung
schreibt HEINROTH:
"Mit drei Wochen zeigen sich die Schulter - und Schwanzfederkiele,
anschließend schieben die Armschwingen. Mit 26 Tagen lösen sich die
Erstlingsdaunen von den Federspitzen. Nach 5 Wochen ist die Befiederung
etwa zu 75% abgeschloßen. Mit 57 Tagen werden die ersten Flugversuche
unternommen, doch erst mit 11 Wochen sind die Handschwingen voll
ausgewachsen. Gleichzeitig beginnt auch die Kleingefiedermauser, die
mit 18 Wochen ihren Abschluß findet. Anfang Mai geschlüpfte Junge haben
also Ende September das fertige Alterskleid. Nach zwei Jahren tritt
dann die Geschlechtsreife ein."